Nachdenkliches

Meinung eines Betroffenens:
Es ist normal, wenn du jetzt anders „tickst“.

Mein Schusswaffengebrauch liegt inzwischen mehr als sieben Jahre zurück. Und ich habe immer noch mit meinem Erlebten zu tun. Meine Erinnerungen holen mich unangekündigt ein, am Tag und in der Nacht.

Wie soll ich in meiner Dienststelle darüber sprechen, dass ich nachts nicht einschlafen kann, weil mich die Bilder im Kopf nicht loslassen? Wie soll ich meinem Vorgesetzen erklären, dass ich einen Einsatz mit ähnlichen Einsatzbedingungen derzeit nicht absolvieren kann, weil ich panische Angst vor einer Wiederholung habe?
Natürlich gibt es Polizeipsychologen und Polizeiärzte in den einzelnen Polizeien, aber was macht der verbeamtete Polizeiarzt mit den Erkenntnissen aus den Gesprächen? Dem Hausarzt kann ich von meiner „Scheißangst“ erzählen, aber versteht der die Polizei als Institution?
Nicht jeder kann oder möchte von einem Pfarrer betreut werden- was weiß denn der Pfarrer wie die „Kameraden“ bei der Polizei funktionieren.
In einem Zeitungsartikel habe ich von den Seminaren „Schusswaffenerlebnis“ erfahren, ich rief an und wurde auch gleich eingeladen. Auf der Fahrt dorthin hab ich mir die ganze Zeit überlegt: „Junge was willst Du eigentlich da?“
Doch es kam keine Fortbildungsveranstaltung im üblichen Sinne. Da treffen sich KollegInnen von der Polizei, Zoll, Bundespolizei und Schweizer Kantonspolizei die eines eint:
Sie haben erleben und erfahren müssen, dass sie vom Täter angeschossen wurden, vom „Mob“ beim Demoeinsatz schwer verprügelt und misshandelt wurden, ins „friendly fire“ eigener Kollegen bei der Verfolgungsfahrt gerieten und nicht zuletzt mit Amoklagen mit Toten und Schwerverletzten konfrontiert waren, dass sie sich selbst angegriffen oder bedroht gefühlt von der Schusswaffe Gebrauch machten und verletzten bzw. töteten.
Bei diesen Seminaren fühle ich: Hier bin ich Gleicher unter Gleichen, hier weiß oder jedenfalls ahnt jeder was der/ die andere für Probleme hat und was viel wichtiger ist: Ich kann von anderen Betroffenen mitnehmen, wie ich mit meinen belastenden Erinnerungen, mit meinen Träumen, mit meiner Angst umzugehen lernen kann. Von unseren Seminaren kann jeder, der es wissen und hören will, mitnehmen: Leute ich habe zwar Probleme, aber ich bin normal. Es ist normal nach unseren Erfahrungen Probleme mit Gedächtnis, Herz und Nerven zu bekommen. Es ist normal, wenn du jetzt anders „tickst“.
Das von Pfarrerin und Therapeuten begleitete Sprechen in der Gruppe Gleichgesinnter über unsere belastenden Erfahrungen im Polizeidienst nimmt uns einen Teil unserer Bürde, nimmt uns ein Stück Last von der Seele Nichts, aber auch gar nichts kann die Folgen des jeweiligen Einsatzes ungeschehen machen -aber wir können lernen unser Schicksal zu ertragen.

Auszug, Original in „Deutsche Polizei 12/2005“

Der Betroffene hat seine Gedanken und Erlebnisse in das Buch „Du sollst nicht Töten“ eingebracht.

Erich Kästner
Traurigkeit, die jeder kennt

Man weiß von vorneherein, wie es verläuft.
Vor morgen früh wird man bestimmt nicht munter.
Und wenn man sich auch noch so sehr besäuft,
die Bitterkeit, die spült man nicht hinunter.
Die Trauer kommt und geht ganz ohne Grund.
Und man ist angefüllt mit nichts als Leere.
Man ist nicht krank. Und ist auch nicht gesund.
Es ist, als ob die Seele unwohl wäre.

Man will allein sein. Und auch wieder nicht.
Man hebt die Hand und möchte sich verprügeln.
Vorm Spiegel denkt man: „Das ist dein Gesicht?“
Ach, solche Falten kann kein Schneider bügeln!

Vielleicht hat man sich das Gemüt verrenkt?
Die Sterne ähneln plötzlich Sommersprossen.
Man ist nicht krank. Man fühlt sich nur gekränkt.
Und hält, was es auch sei, für ausgeschlossen.

Man möchte fort und findet kein Versteck.
Es wäre denn, man ließe sich begraben.
Wohin man blickt entsteht ein dunkler Fleck.
Man möchte tot sein. Oder Urlaub haben.

Man weiß, die Trauer ist sehr bald behoben.
Sie schwand noch jedesmal, so oft sie kam.
Mal ist man unten, und mal ist man oben.
Die Seelen werden immer wieder zahm.

Der eine nickt und sagt: „So ist das Leben.“
Der andre schüttelt seinen Kopf und weint.
Die Welt ist rund, und wir sind schlank daneben.
Ist das ein Trost? So war es nicht gemeint.